Kenneth Bonert „Toronto. Was uns durch die Nacht trägt“

Diogenes Verlag 2021 / geb./ 256 Seiten / 22 €
Eine Empfehlung von Nina Schramm

Die kanadische Stadt Toronto ist Ort des Geschehens aller vier Geschichten, die Kenneth Bonert in seinem Erzählband „Toronto“ zusammengetragen hat. Bonert wurde in Johannesburg (Südafrika) geboren und emigrierte als 17 Jähriger mit seinen Eltern nach Kanada. Toronto selbst ist als Einwanderermetropole bekannt, die unterschiedlichsten Kulturen treffen hier aufeinander. Bonert erzählt von Menschen, die in unserer modernen, westlichen Welt leben, die so unendlich viele Möglichkeiten und Begegnungen bereithält.

Doch ist es oft die Einsamkeit, die die Menschen umtreibt und zu den absurdesten Handlungen bringt. Egal ob Immobilienmaklerin, Künstler oder Hausfrau – jede/jeder sucht hier sein Glück und seinen Ankerplatz im Leben und erkennt sich selbst erst in der Begegnung mit dem anderen. Die Wege, die Bonerts Figuren zurücklegen und die Abgründe, die er aufzeigt, stehen im harten Kontrast zur vielgepriesenen kanadischen „Feel good“- und Höflichkeitsmentalität. Bonerts Sprache erzeugt Kopfkino. Er lässt die LeserInnen durchs Schlüsselloch blicken, schonungslos und ohne rosarote Brille. Dabei erschafft er beeindruckende flirrende Großstadtliteratur. Ich habe wie im Rausch gelesen.

Mathijs Deen „Der Schiffskoch“

mareverlag 2021 / geb. / 108 Seiten / 18 €
Eine Empfehlung von Detlef Gertkamp

Die „Texel“ war das letzte bemannte niederländische Feuerschiff. Mathijs Deen, 1962 in den Niederlanden geboren, Schriftsteller und Radioproduzent, hatte Gelegenheit, ehemalige Mannschaftsmitglieder zu interviewen. Die Gespräche haben ihn zu „Der Schiffskoch“ inspiriert.

Die immer gleiche Routine im Wechsel von vier Wochen Seetörn und zwei Wochen Freitörn bestimmt das Leben auf einem Feuerschiff. Nur die Mittagessen von Schiffskoch Lammert versprechen Abwechslung. Lammert bringt ein lebendes Ziegenböckchen mit an Bord, gedacht für ein Curry-Gericht. „Gebt ihm keinen Namen!“ sagt er allen. Die Mannschaft nennt das Böckchen deswegen „Schmorfleischeintopf“.

Auf Feuerschiffen kamen oft besondere Typen an Bord, die traumatische Erlebnisse mitbrachten. „Schmorfleischeintopf“ bringt die Arbeitsroutine der wortkargen Männer durcheinander. Für die einen ist die Ziege Schmorfleischeintopf, für die anderen ein neuer Kamerad.

Mathijs Deen nimmt uns auf der fest verankerten „Texel“ mit auf eine Reise voller skurriler Begebenheiten. Mit seltsamen Charakteren und einem fröhlichen Ziegenböckchen.

Claude Anet „Ariane: Liebe am Nachmittag“

Dörlemann Verlag 2021 / geb. / 272 Seiten / 23 €
Eine Empfehlung von Gabriele Klinski

Claude Anet war Reporter, die russische Revolution erlebte er als Korrespondent des Journal. 1920 erschien sein für den Prix Goncourt nominierter Roman „Ariane, jeune fille russe“, der für viel Aufregung sorgte. Die Geschichte von Ariane, eine junge Frau voller moderner Ideen zur Emanzipation und Liebe, entsprach nicht damaliger Konvention. Jetzt liegt diese zeitlose Liebesgeschichte in neuer Übersetzung vor.

Ariane ist eine glänzende Schülerin, zielstrebig, lebhaft, eigensinnig. Die Männer liegen ihr zu Füßen. Von der Liebe hält sie wenig, empfindet sie als Abhängigkeit, ja Einschränkung. Dennoch genießt sie männliche Gesellschaft, vorausgesetzt: Sie bestimmt die Regeln. Als sie dem älteren Konstantin begegnet, gerät ihre Gedankenwelt ins Wanken: Nicht die Liebe schränkt ihre Freiheit ein, sondern die Furcht davor. Ein moderner Klassiker, herrlich altmodisch und voll sprühender Konversation.

Alexandra Stahl „Männer ohne Möbel“

Jung und Jung 2021 / geb. / 240 Seiten / 22 €
Eine Empfehlung von Sophie Wray

Ellie hat ein großes Problem – vor allem mit sich selbst – und viele kleine Probleme – vor allem mit Männern. Vielleicht kann der Schreibkurs der Volkshochschule Berlin helfen, der unter dem Motto „Mein Happy End bin ich!“ läuft, in der man sein Leben als Lieblingsbuch schreibt. Oder Ria, die neue Barkeeperin in der Bar namens Italien, in der Ellie Geschichten über wahrscheinlich existierende Frauen und philosophische Gedanken über Vögel hört. Vielleicht findet sich die Lösung zu allem aber auch in Italien selbst.

In ihrem Debutroman fängt Alexandra Stahl präzise die erdrückenden Gefühle von Unbestimmtheit und Rastlosigkeit ein und der schier endlosen Suche nach dem „Einen“ im Leben, das alles richtet.

Yishai Sarid „Siegerin“

Kein und Aber 2021 / geb. / 240 Seiten / 22 €
Eine Empfehlung von Nina Schramm

Der neue Roman des israelischen Schriftstellers Yishai Sarid erzählt von der Militärpsychologin Abigail, deren Aufgabe es ist, Soldaten auf den Krieg vorzubereiten und traumatisierte Soldat*Innen zu behandeln. Abigails Wirkungs- und Lebensraum ist Tel Aviv. Wir lesen von ihrer Arbeit, tauchen in ihr Leben ein. Abigail beginnt zu wanken, als ihr Sohn selbst zum Soldaten wird und sie merkt, wie sich seine Persönlichkeit verändert.

Sie hält inne, als ihr ein ehemaliger Soldat beim Orangenschälen erzählt, wie er Terroristen liquidiert hat. Täglich begegnet sie Menschen, die scheinbar ein normales Leben führen und doch jede Sekunde in den Bombenhagel geraten können. Ein Roman, der eine starke, rational handelnde Frau in einer Gesellschaft zeigt, die modern ist und zugleich täglich mit uralten Mustern und Wunden kämpft.

Ewald Arenz „Der große Sommer“

Dumont Verlag 2021 / geb. / 320 Seiten / 20 €
Eine Empfehlung von Nicola Dielkus

Frieders Versetzung ist in Gefahr. Wenn er die Nachprüfung besteht, darf er in die Oberstufe. Aber dazu muss er büffeln, büffeln, büffeln und zwar die ganzen Sommerferien. Um dazu die nötige Disziplin aufzubringen, beschließen seine Eltern, ihn in die Obhut seiner Großeltern zu geben. Vor dem strengen Großvater graut Frieder sehr. Aber irgendeinen Grund muss es doch geben, dass seine geliebte Großmutter diesen Mann geheiratet hat. Und je länger er unter ihrem Dach wohnt, erfährt er über die Beziehung der beiden und über ihre Geschichte, die auch ein Teil seiner eigenen ist.

Vor allem auch: Ihm begegnet die Liebe seines Lebens. Es ist ein Sommer mit Verlusten und Gewinnen, mit Sonnenseiten und Schattenseiten, der unvergesslich bleibt. Diese Geschichte kommt ganz leicht daher und hinterlässt ein glückliches (Lese)-Gefühl.

Rainer Moritz „Als wär das Leben so“

Kampa Verlag 2021 / geb. / 208 Seiten / 20 €
Eine Empfehlung von Gabriele Klinski

Der junge, schon viel beachtete Kampa Verlag beginnt in diesem Frühjahr eine neue Reihe und nennt sie „Oktopus“. Dazu der Verlag: »Acht Arme, neun Gehirne, drei Herzen und jede Menge Charme. Ein wunderbar schräges und doch stimmiges Motto für die ersten Oktopus Bücher, die gleichermaßen das Herz erwärmen, den Geist anregen und dabei charmant verpackt sind.“

Der neue Roman von Rainer Moritz fällt für mich in die Kategorie „Herz erwärmen und charmant verpackt“.

Im Mittelpunkt steht Lisa, die wir mit 7 oder auch 8 Jahren kennen lernen und deren Leben wir bis Ende 50 Jahren begleiten. Eine Figur mit viel Temperament, vor allem Konsequenz. Aufgewachsen in einem kleinen Ort im Norden Deutschlands, eine ihr zugewandte Familie – an diesen Ort kommt sie immer wieder gern. Obwohl sie anders lebt als in den vorgesehenen Lebensentwürfen der damaligen Zeit: Allein, berufstätig, unabhängig. Ihr Credo. Lisa weiß, was sie will. Beruflich und in ihren Beziehungen. Es gibt Männer in ihrem Leben, man begegnet sich mit Respekt und Hingabe. Den einen Einzigen an ihrer Seite will sie nicht. Später, älter als Vierzig, gibt es ihn doch, allerdings ist er nicht ganz ihrer. Lisa stört das nicht. Oder doch und anders?

Rainer Moritz erzählt dieses Frauenleben in einem lakonischen Grundton, sensibel mit einem Hauch Melancholie.