Fabio Geda „Ein Sonntag mit Elena“

Verlag Hanserblau 2020 / geb. / 220 Seiten / 20 €
Eine Empfehlung von Gabriele Klinski

Ein kleines Buch – im Format – eine stille Geschichte mit besonderer Wirkung:
Im Mittelpunkt des neuen Romans von Fabio Geda (Foto © Walter Menegazzi) steht ein Mann Ende sechzig, Vater von drei erwachsenen Kindern, die ihr eigenes Leben führen. Seine Frau lebt nicht mehr, vor gar nicht langer Zeit kam sie bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Er hat ein reiches Berufsleben hinter sich, als Ingenieur, der Brücken baute, war er auf allen Kontinenten unterwegs.

Jetzt lebt er allein mit vielen Erinnerungen in der großen Wohnung der Familie. Der Sonntag war Familientag und zum ersten Mal, seitdem er allein ist, lädt er eine seiner Töchter mit ihrem Mann und den Enkelkindern zum Sonntagsessen ein. Er bereitet alles vor, er kocht aus dem Rezeptbuch seiner Frau, eine neue aufregende Erfahrung. Schweißtreibend. Dann der Anruf, der Neues in Bewegung setzt!

Feinfühlig, durchaus melancholisch erzählt Fabio Geda von Hoffnung, Nähe und unerwarteten Perspektiven.

Oyinkan Braithwaite „Meine Schwester, die Serienmörderin“

Blumenbar/aufbau 2020 / Übersetzer/in Yasemin Dinçer / Geb. / 240 Seiten / 20,00 €
Eine Empfehlung von unserer Auszubildenden Sophie Wray

Zwei Schwestern mit den verschiedensten Qualitäten: Korede, die Ältere, keine Augenweide, aber immer zuverlässig und gründlich, arbeitet als Krankenschwester. Und Ayoola, die Jüngere, schön und flatterhaft, ist Modedesignerin und: Sie neigt dazu, ihre Männer umzubringen. Korede, pflichtbewusst, wie sie ist, hilft beim Beseitigen von Spuren und Leiche, denn immerhin hat Ayoola in Selbstverteidigung gehandelt, so wie bei den anderen Malen zuvor. Sagt sie.

Das Messer im Rücken des Opfers: Korede lässt die Motive ihrer Schwester zum ersten Mal hinterfragen. Und als Ayoola ein Auge auf Tade wirft, der umwerfende Arzt aus dem Krankenhaus, für den Korede schon so lange schwärmt, muss sie sich fragen, wen sie von nun an beschützen will und sollte.

Ein flüssig zu lesendes Buch, dass nicht nur überraschend viel Spaß macht mit seinem schwarzen Humor, sondern die Leserin/den Leser dazu anregt, wie die Erzählerin selbst, Richtig und Falsch aus neuen Perspektiven zu sehen.

Doris Knecht „Weg“

Rowohlt Berlin 2019 / Geb. / 304 Seiten / 22,00 €
Eine Empfehlung von Nina Schramm

Vor etwa 20 Jahren hatten Heidi und Georg eine kurze Affäre, aus der ein Kind hervorgegangen ist: Charlotte, genannt Lotte, wächst bei Heidi auf. Der Kontakt zum Vater ist eher sporadisch. Heidi und Georg haben wenig miteinander gemeinsam, sie mögen sich nicht einmal besonders. Aber Lotte ist eigensinnig, widerspenstig und psychisch labil – sie braucht beide.

Als Lotte plötzlich spurlos verschwindet, müssen sich Heidi und Georg zusammenraufen. Die Spuren ihrer Tochter führen nach Südostasien und so machen sich die beiden im Grunde völlig Fremden auf den Weg. Die etwas kleinbürgerliche Heidi, die noch nie in einem Flugzeug saß und der weltoffene Georg müssen sich auf der Suche auch ihren eigenen Ängsten stellen, sich gegenseitig öffnen, ihre jeweiligen Lebensentwürfe hinterfragen.

Ich liebe Doris Knecht (Foto © Pamela Rußmann) für ihre feine Beobachtungsgabe und für ihren schonungslosen Blick auf das Leben, seine kleinen Geschichten und die Menschen darin. Ihre Romane zu lesen, hat etwas vom Blick in das Fenster der Nachbarn, die uns nah und vertraut sind.

Judith Taschler „Das Geburtstagsfest“

Droemer/Knaur 2019 / Geb. / 352 Seiten / 22,00 €
Eine Empfehlung von Nina Schramm

Kim Meys 50. Geburtstag soll unvergesslich werden. So haben es zumindest seine drei Kinder geplant, als Sie Tevi Gardiner dazu einladen, die Frau, mit der Kim vor vielen Jahren aus seiner Heimat Kambodscha geflohen ist. Doch anders als erwartet, zeigt sich Kim eher unterkühlt bei dem Besuch. Auch seiner Frau Ines ist die unerwartete Besucherin eher unangenehm. Das, was Kim und Ines jahrelang vor ihren Kindern verschwiegen haben, bricht sich nun Bahn: Kims Vergangenheit in Kambodscha, die dramatische Flucht von Kim und Tevi, der Neuanfang in Österreich. Beide, Kim und Tevi, haben die Schreckensherrschaft der roten Khmer in Kambodscha miterlebt. Der Umgang beider mit ihrer Vergangenheit ist jedoch höchst unterschiedlich. Nach und nach enthüllt Judith Taschler (Foto © Patrick Saringer) die Geschichten ihrer Figuren, zeigt auf, dass die Rollenverteilung zwischen Tätern und Opfern nicht immer eindeutig ist und, dass jeder Mensch eine eigene Sichtweise auf das Erlebte hat.

Daniela Krien „Die Liebe im Ernstfall“

Diogenes Verlag 2019 / Geb. / 288 Seiten / 22,00 €
Eine Empfehlung von Maurizio Capaldi

Fünf Frauen stehen im Mittelpunkt des neuen Romans von Daniela Krien (Foto: Maurice Haas / © Diogenes Verlag): alle in der ehemaligen DDR aufgewachsen, den Mauerfall als Jugendliche erlebt, Schauplatz „heute“ ist Leipzig. Jetzt fordert sie der Alltag, dessen Bewältigung für keine der Protagonistinnen einfach ist. Jede von ihnen ringt um das Gelingen von Leben und Liebe. Krien beschreibt die Freuden und Leiden dieser Frauen nüchtern, pragmatisch. Die Sparsamkeit in ihrer Sprache kann deren Welt kaum besser treffen. Kein Adjektiv zu viel, dass hier von wesentlichen Aussagen ablenkt. Mit illusionsfreier Ehrlichkeit werden persönliche Tiefpunkte geschildert, und doch bleibt beim Leser ein Gefühl zurück, das positiv stimmt. Die emotionalen Höhen und Tiefen, Liebe und Leid haben nebeneinander ihren Platz. Aus dem Leben gegriffen. Nicht beschönigt, nicht dramatisiert. So wie sie das Leben selbst schreiben könnte. Ein Lesegenuss!

Mathijs Deen „Unter den Menschen“

Mare Verlag 2019 / Geb. / 192 Seiten / 20,00 €
empfohlen von Gabi Klinski

Ich habe ein Faible für skurrile Figuren und ebensolche Momente im Alltäglichen, die sperrig sind, nicht perfekt, dabei gut gemeint „daneben“ gehen. Die beiden Protagonisten im Roman des Niederländers Mathis Deen verkörpern genau dieses Bild. Zu Beginn der Geschichte lernt der Leser Jan kennen, jung, Anfang 20, Bauer. Bauernhof „unterm“ Deich nahe der Nordsee, Winter, tiefer grauer Himmel, die Arbeit ist erledigt, weit und breit niemand da zum Reden. Was tun? Seine Eltern haben ihm wenige Monate zuvor – nach einem arbeitsreichen Leben – den Hof vermacht und sind Richtung Süden aufgebrochen, dabei sind sie leider von der Fahrbahn abgekommen.

Jetzt ist Jan allein und auf sich gestellt. Durch eine Kontaktanzeige, pragmatisch formuliert, lernt er Wil kennen. Sie sucht nicht den Kontakt, nicht die Liebe, sondern Ruhe von dem Stadtleben und ein Haus mit Meerblick. Zwei Menschen mit unterschiedlichstem Naturell versuchen zusammen zu finden. Komisch, berührend und gar nicht so fremd ist diese Geschichte von „Sehnsucht, Träumen und Einsamkeit“ (Het Parool).

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Julien Barnes „Die einzige Geschichte“

Verlag Kiepenheuer & Witsch 2019 / Geb. / 304 Seiten / 22,00 €
empfohlen von Nina Schramm

Im spießig verklemmten England der Sechziger verliebt sich der 19jährige Paul in die fast 30 Jahre ältere, verheiratete Susan. Nach außen hin ist Paul Susans Tennispartner, doch schon bald durchschaut ihr Umfeld die Fassade. Susan wird in ihrer Kleinstadt vor den Toren Londons zur „persona non grata“, Pauls Eltern sind überfordert und reagieren mit Sprachlosigkeit und Ignoranz. Doch die beiden genießen die gesellschaftliche Ausgrenzung beinahe und auch Susans leidenschaftsbefreitem Ehemann bleibt schließlich nichts anderes übrig, als die Beziehung der beiden zähneknirschend zu tolerieren. Fast ein Jahrzehnt bleiben Susan und Paul zusammen.

Barnes´ Roman ist in drei Teile gegliedert und während der erste vom Liebesrausch des Anfangs erzählt, so der zweite vom Scheitern der Beziehung und der dritte vom Leben danach, auf das der fast 70jährige Paul am Ende zurückblickt.

Ein großartig erzählter Roman über Glück und Schmerz einer großen Liebe, die Barnes im Kontext einer bestimmten Zeit und Gesellschaft klug und zuweilen fast philosophisch reflektiert.

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