Hanser Verlag 2023 / Geb. / 320 Seiten / 26 € Eine Empfehlung von Gabriele Klinski
Emma Cline ist eine noch junge kalifornische Autorin, die vor einigen Jahren mit ihrem Debut „The Girls“ für Furore sorgte. Neugier und Aufmerksamkeit waren groß, als jetzt ihr neuer Roman erschien.
„Die Einladung“ ist eine subtile Geschichte um eine junge Frau, Alex, eine Hochstaplerin, nicht unbedingt sympathisch, rausgeschmissen aus ihrer Wohngemeinschaft in New York, nachvollziehbar, jetzt ohne Bleibe. Als Geliebte eines einflussreichen wohlhabenden Mannes, doppelt so alt wie sie, findet sie eine Unterkunft in seinem Haus in den Hamptons. Großartig? Ein kurzer unüberlegter Moment lässt ihr Kartenhaus einstürzen. Die Gunst ihres Gastgebers ist passe. Es geht um Macht, Abhängigkeit, Grenzüberschreitung. Unmöglich, sich nicht auf die Seite dieser jungen verzweifelten Frau zu stellen. Genau beobachtet, spannend und großartig komponiert.
DuMont Buchverlag 2023 / Geb. / 432 Seiten / 23 € Eine Empfehlung von Claudia Kürten
Sarah ist eine junge Frau, die in der Kölner Villa ihrer verstorbenen Tante ihrer Passion nachgeht: Aufspüren und Restaurieren alter Bücher. Der Kontakt zu ihrer einzigen Verwandten, ihrer Schwester, ist aufgrund der unterschiedlichen Lebensentwürfe angespannt und entsprechend locker. Andere Menschen sind Sarah grundsätzlich suspekt, sie schätzt ihre Ruhe und Abgeschiedenheit.
Eines Tages allerdings klingelt es bei ihr und Benjamin, Mitarbeiter der British Library, bittet um ihre Mithilfe beim Aufspüren einer sagenumwobenen Karte Europas aus römischer Zeit …
Witzig, liebevoll und unterhaltsam mit einer verträglichen Beimischung von Romantik – schönstes Lesefutter für gemütliche Stunden!
Suhrkamp Nova 2023 / Geb. / 362 Seiten / 23 € Eine Empfehlung von Susanne Stammeier
Eine junge Frau zwischen den Welten: Die 15jährige Margerita lebt mit ihrem Vater, der die Gebete in der Synagoge leitet, in Berlin. Ihre Mutter hat Mann und Tochter verlassen, als Margerita noch sehr klein war, sie lebt in Jerusalem. In den Ferien besucht Margerita ihre Großeltern, die in Chicago leben. Hier fühlt sie sich fremd und von Heimweh geplagt. Schließlich beschließt der „Familienrat“, dass Margerita ihre Mutter in Jerusalem treffen soll und für die junge Frau beginnt eine Reise voller Widersprüche …
Eine eindrucksvolle Geschichte mit einer starken Hauptfigur! Spannend und einfühlsam erzählt. Es geht um jüdisches Leben in Deutschland, um Tradition und Moderne, die Geschichte Israels und den Holocaust. Um Identität, Familie und Neuanfänge. Sehr lesenswert!
Persephone (Percy) ist 13 Jahre alt, als sie zum ersten Mal mit ihren Eltern die Ferien am See im Nordosten Kanadas verbringt. Sie ist unglücklich in der Schule, eher eine Einzelgängerin, und ihre Eltern hoffen, dass sie das neue Ferienhaus auf andere Gedanken bringt. In diesem Sommer lernt Percy die Brüder Sam und Charlie kennen, mit denen sie unbeschwerte Wochen verbringt. Insbesondere mit Sam verbindet sie bald eine tiefe Freundschaft. Er wird ihre erste große Liebe – auch zu ihrem Unglück.
Inzwischen ist Percy 30 Jahre alt und erfolgreiche Redakteurin bei einem Designmagazin in Toronto. Sie lebt ihr Leben zwischen ihrem Job, kurzen unverbindlichen Beziehungen und ihren Panikattacken. Eines Tages erhält sie völlig unerwartet einen Anruf von Charlie, der ihr eine Nachricht übermittelt. Und Percy begibt sich noch einmal an den magischen Ort am See …
Tilda, Anfang zwanzig, studiert Mathematik, jobt an der Supermarktkasse und kümmert sich um ihre kleine Schwester Ida. Dabei ist ihre alkoholabhängige Mutter eine zusätzliche Belastung und für sich und andere eine ständige Gefahr.
Im Schwimmbad gelingt es Tilda am besten, den Kopf freizubekommen. Dort trifft sie auch Viktor wieder. Tilda ist von Viktor fasziniert – gleichzeitig erinnert er sie an ein großes Unglück. Dabei spielt auch ihre Freundin Marlene eine Rolle, die über die gemeinsame Vergangenheit lieber schweigt…
Spannend und temporeich erzählt! Ein überzeugender Debütroman aus der Welt der Twentysomethings.
Steidl 2023 / Geb. / 104 Seiten / 20 € Empfohlen von Markus Felsmann
Irland in den 1980’er Jahren: An einem Sommertag liefert ein Vater seine achtjährige Tochter bei entfernten Verwandten, dem kinderlosen Ehepaar Kinsella, ab. Die finanzielle Lage ist eng, denn seine Frau ist mit dem vierten Kind schwanger, es gilt »ein Maul mehr zu stopfen«. Sollen die Kinsellas die Kleine also möglichst lang bei sich behalten.
In der neuen Umgebung gibt es alles im Überfluss und das Mädchen lernt, was Familie eigentlich bedeutet: Zuwendung, Liebe und das Gefühl, versorgt zu sein. Doch Glück ist ein fragiler Zustand …
Claire Keegan, eine der besten irischen Gegenwartsautorinnen, schätze ich für die große Humanität, die ihre Werke – zuletzt »Kleine Dinge wie diese« – auszeichnen. Auf nur wenigen Seiten schildert die Autorin meisterlich die kindliche Erfahrung, geborgen zu sein und geliebt zu werden – freilich ohne jemals in den Kitsch abzurutschen. Kein Wort ist zu viel; die erzählerische Balance aus Beschreibung und Schweigen wird perfekt gehalten.
Mit »Das Dritte Licht« hat Claire Keegan eine bewegende Erzählung geschaffen, die über die Lektüre hinaus lange nachhallt. Große Literatur!
Eichborn Verlag 2023 / Geb. / 560 Seiten / 25 € Empfohlen von Markus Felsmann
Eines der für mich besten Bücher im Frühjahr 2023 ist der Roman »Morgen, morgen und wieder morgen« von Gabrielle Zevin, der in den USA nach »Eine Frage der Chemie« das meistverkaufte Buch war und nun auf Deutsch im Eichborn Verlag erschienen ist. Zwar sind hohe Verkaufszahlen und Auflagen noch lange kein Garant dafür, dass ein Text über literarische Qualität verfügt, doch der Umstand, dass die Schweizer Buchhändler und Buchhändlerinnen Zevins Roman zu ihrem Lieblingsbuch gekürt haben, spricht für sich.
Angesiedelt ist »Morgen, morgen und wieder morgen« in den 90’er Jahren in der Welt der Computerspiel-Designer Sadie und Sam, die ihre Erfolge als Game-Entwickler mit jedem neugeschaffenen Spiel überbieten wollen. Doch der Text zielt keinesfalls auf die Überführung eines visuellen Mediums in die Welt der Literatur (und Zevin adressiert ihn auch nicht an Computernerds und Zocker) – vielmehr verhandelt er Themen wie Freundschaft, Identität und Liebe so realistisch, dass man diesen literarischen Blockbuster nicht mehr aus der Hand legen möchte.
Gabrielle Zevin hat mit »Morgen, morgen und wieder morgen« einen Great American Novel vorgelegt. Überaus lesenswert!