Oyinkan Braithwaites „Das Baby ist meins“

Blumenbar Verlag 2021 / geb. / 128 Seiten / 15 €
Eine Empfehlung von Sophie Wray

Ein weiteres Mal ist es der Autorin gelungen, eine packende Geschichte zu erzählen, die perfekt die Beklemmung des erzwungenen Hausarrestes einfängt, zugespitzt durch eine verzwickte Situation, wie man sie aus der Bibel kennt: Ein Baby zwischen zwei Frauen, ein Mann muss bestimmen, wem das Baby gehört.
Bambi, der während den Zeiten von Corona von seiner Freundin rausgeschmissen wird, als sie herausfindet, dass er sie betrügt. Da nun obdachlos, fährt er zum leer geglaubten Haus seines verstorbenen Onkels, doch als er dort ankommt, muss er zu seiner Überraschung feststellen, dass seine Tante Bidemi dort ist, die ihm glücklich ihr Baby präsentiert. Doch jemand Viertes ist im Haus: Esohe, die Geliebte seines Onkels, die darauf besteht, dass das Baby ihres ist. Zu Anfang sicher, dass Esohe lügt, zweifelt Bambi mehr, je länger er mit den Frauen im Haus gefangen ist.

Alena Schröder „Junge Frau am Fenster stehend Abendlicht, blaues Kleid“

DTV 2021 / geb. / 368 Seiten / 22 €
Eine Empfehlung von Tanja Hack

Die 27- jährige Kulturwissenschaftlerin Hannah schreibt an ihrer Doktorarbeit mit wenig Erfolg. Jeden Dienstag verlässt sie die Bibliothek früher als üblich, um ihre eigensinnige, verschlossene, fast 100 Jahre alte Großmutter Evelyn in ihrer Seniorenresidenz zu besuchen. Bei einem der Besuche entdeckt Hannah den Brief eines Anwalts aus Israel. Evelyn scheint die einzige Erbin eines geraubten, verschollenen Kunstvermögens zu sein. Über ihre Vergangenheit redet die alte Dame jedoch nicht. Hannah wird neugierig und begibt sich auf eine aufregende Reise: Die Suche nach dem Erbe und damit ihrer Familiengeschichte. Dabei trifft sie auf Frauen aus vier Generationen, jede nach einem selbstbestimmten Leben strebend. Temporeich und spannend erzählt, ein toller Schmöker!

Julia Phillips „Das Verschwinden der Erde“

DTV 2021 / kt. / 376 Seiten / 22 €
Eine Empfehlung von Nina Schramm

Im fernen Petropawlowsk-Kamschatki, am äußersten südöstlichen Zipfel von Russland leben Sofija und Aljona.
Als die beiden Schwestern nach einem sonnigen Strandnachmittag spurlos verschwinden, ist die ganze Region in Aufruhr. Im Zuge der nun folgenden polizeilichen Ermittlungen stellt sich heraus, dass das Verschwinden der beiden Mädchen Teil einer langen Kette von Ereignissen in der Gegend ist.
Julia Phillips hat selbst ein Jahr auf der sibirischen Halbinsel verbracht und ist dort eingetaucht in eine Gesellschaft, die sich im Aufbruch befindet. Sie nimmt uns mit in eine faszinierende Welt, ursprünglich und in Bewegung zugleich, die noch vieles Abgründige verbirgt. Ein fesselndes Portrait einer Gesellschaft an einem Ort am anderen Ende der Welt – ein tolles Debut!

Silvian Tesson „Der Schneeleopard“

Rowohlt Verlag 2021 / geb. / 192 Seiten / 20 €

Eine Empfehlung von Nina Schramm

Mein aktuelles Lieblingsbuch stammt von dem französischen Reiseschriftsteller Silvain Tesson, der sich zusammen mit dem Naturfotografen Vincent Munier auf eine Reise in das tibetische Hochland begibt, um dort den fast ausgestorbenen Schneeleoparden zu finden und zu fotografieren. Die Reise ist geprägt von langen Wartezeiten und großen Strapazen. Doch Geduld und Hartnäckigkeit werden belohnt durch atemberaubende Naturschauspiele. Ich werde an dieser Stelle nicht verraten, ob der Schneeleopard gefunden wird!
Silvain Tesson hat mich mitgenommen auf eine Reise, die ich nicht mehr vergessen kann. Und auch wenn ich die Schönheit der „weißen Stille des Himalaya“ nach wie vor nur erahnen kann: Ich hatte das Gefühl, ich war kurz dabei.

T.C. Boyle „Sprich mit mir“

Hanser Verlag 2021 / geb. / 352 Seiten / 25 €

Eine Empfehlung von Detlef Gertkamp

Ich bin Sam. Sam ist ein Schimpanse, kommuniziert in Gebärdensprache und lebt mit dem Wissenschaftler Guy und der Studentin Aimee zusammen. Guy will in einem Sprachexperiment beweisen, dass es Kommunikation zwischen Schimpansen und Menschen geben kann.

Sam, aufgewachsen nur mit Menschen, entwickelt sich zu einem eigenständigen Individuum. Aber dann muss er schmerzlich lernen, dass er anders ist: „Schlüssel Schloss Raus“ – Sam erwacht in einem Käfig. Und kann nicht verstehen warum.

T.C. Boyle erzählt Sam’s Lebensgeschichte aus der Perspektive von Guy und Aimee, aber eben auch aus der des Schimpansen Sam.

Boyles neuer Roman „Sprich mit mir“ ist ungeheuer packend! Unterhaltsam und humorvoll erzählt, dabei realitätsnah ohne kitschig zu werden.

Joachim B. Schmidt „Kalmann“

Diogenes Verlag 2020 / geb. / 352 Seiten / 22,00 €
Eine Empfehlung von Nina Schramm

In einem kleinen Dorf im nördlichen Island lebt der 34-jährige Kalmann. Als Jäger, Haifänger und Hersteller von Gammelhai hat er hier seinen Platz gefunden und führt zugleich das Erbe seines Großvaters fort. Die Gedanken in Kalmanns Kopf drehen zuweilen wilde Pirouetten. Sein kindlicher Blick auf die Welt und auch sein Beruf, den er mit Passion betreibt und den geruchsempfindliche Zeitgenossen auf Abstand gehen lassen, haben ihm den Ruf des harmlosen Sonderlings eingebracht. Dennoch wird Kalmann in seinem Dorf akzeptiert und gemocht.

Als Kalmann bei einem seiner Streifzüge eine große Blutlache entdeckt, ist die Aufregung groß: Presse und Polizisten stürmen das Dorf und ziehen die Einwohner ordentlich auf links. Kalmann scheint etwas zu wissen, bekommt seine Gedanken jedoch nicht geordnet. Wer ist das Opfer, wo ist es, und was ist überhaupt passiert?

Wir als Leser verfolgen den Fall mit den Augen Kalmanns und bekommen dabei eine ganz besondere Sicht auf seine Welt und die Ereignisse darin. Ein Buch, das mich sehr bereichert hat, denn Kalmann ist eine ebenso skurrile wie glaubwürdige Figur, die keine Klischees bedient, sondern zeigt, wie bunt die Welt ist.

Foto Joachim B. Schmidt: Eva Schram © Diogenes Verlag

Jean Paul Dubois „Jeder von uns bewohnt die Welt auf seine Weise“

Verlag dtv / geb. / 254 Seiten / 22 €
Eine Empfehlung von Gabriele Klinski

Ein sperriger Titel, ein Buchcover, das m. E. nicht animiert, es in die Hand zu nehmen. Bitte nicht davon abhalten lassen, begegnen Sie diesem herausragenden Roman mit Neugier und Leselust!

Jean Paul Dubois (Foto © Normand Patrice) erhielt dafür 2019 den Prix Goncourt, den wichtigsten französischen Literaturpreis.

Er erzählt die Geschichte eines unbescholtenen Mannes, Paul Hansen, der jetzt im fortgeschrittenen Alter im Gefängnis von Montreal einsitzt, verurteilt zu zwei Jahren Haft. Seine Zelle teilt er mit einem Kraftpaket von Mann der Hells-Angels-Biker, verbal und körperlich sehr präsent und massiv. Hansen könnte seine Zeit im Knast verkürzen: Er müsste Reue zeigen. Tut er aber nicht.

Auf der zweiten Erzählebene geht es um seine Herkunftsgeschichte: Er ist der Sohn eines dänischen Priesters, der in den 60er Jahren wegen der Liebe nach Frankreich ging und, nachdem die Ehe zerbrach, sich allein Richtung Kanada aufmachte und in Montreal heimisch wurde. Sein Sohn, eben dieser Paul Hansen, folgt ihm bald, findet schnell Arbeit und später die Stelle als Manager eines Wohnkomplexes, die ihm zum Verhängnis werden wird.

Dubois erzählt über Aufbruch, Scheitern und Neuanfang: ein Stück Gesellschaftsgeschichte über mehrere Jahrzehnte, die diesem Roman eine besondere Spannung gibt.

Großartig, lebendig, facettenreich und sprachlich beeindruckend!