Kiepenheuer & Witsch 2025 / Geb. / 224 Seiten / 25 € Eine Empfehlung von Lukas Becker
Mit „Air“ beweist Christian Kracht erneut, wie elegant er Wirklichkeit und Traumwelt miteinander verweben kann. In seinem neuen Roman folgen wir Paul, einem Schweizer Innenarchitekten, der sich auf den Orkney-Inseln ein ruhiges Leben aufgebaut hat. Sein Beruf: leerstehende Häuser so zu inszenieren, dass sie Käufer*innen verführen.
Doch ein ungewöhnlicher Auftrag aus Norwegen bringt sein Dasein aus dem Gleichgewicht. Was als simpler Job beginnt, weitet sich zu einer fantastischen Odyssee aus — und führt Paul in eine verstörende, eisige Parallelwelt, wo er zusammen mit einem rätselhaften Kind, Ildr, vor einem bedrohlichen Herzog fliehen muss.
Kracht erzählt diese Geschichte in seiner gewohnt feinen, präzisen Sprache, die nüchtern und zugleich poetisch wirkt. „Air“ ist weit mehr als ein Abenteuerroman: Es ist eine kluge Meditation über Wahrnehmung, Entwurzelung und die Zerbrechlichkeit dessen, was wir für „real“ halten. Und dabei gut unterhaltend!
Rowohlt Verlag 2025 / Geb. / 400 Seiten / 24 € Eine Empfehlung von Susanne Stammeier
Das Romandebüt des 1989 in Teheran geborenen Autors passt in keine Schublade: Cyrus Shams sucht nach Zugehörigkeit, Erfolg und – nicht zuletzt – dem Sinn des Lebens. Seine Mutter starb beim Abschuss eines Flugzeugs über dem Persischen Golf, als Cyrus 1 Jahr alt war.
Schnell wird klar, dass noch andere Familienmitglieder stark vom Irak/Iran-Krieg in den 1980er Jahren geprägt wurden, allen voran ein Bruder von Cyrus´ Mutter, der stark traumatisiert ist und kaum noch Kontakt zu anderen Menschen hat.
Nach dem Unglück versucht Cyrus´ Vater, mit dem Säugling in den USA Fuß zu fassen. Als Arbeiter auf einer riesigen Geflügelfarm verdient er das Geld für ihr bescheidenes Leben, stirbt aber ebenfalls früh, während sein Sohn gerade erwachsen geworden ist.
Cyrus ergattert einen Studienplatz und verdient sich nebenbei ein wenig Geld mit Patientensimulationen an einem Krankenhaus. Tatsache ist jedoch, dass er vor allem Alkohol und Drogen konsumiert und fast schon besessen davon ist, zumindest seinem Leben einen Sinn zu geben. Er schreibt Gedichte, träumt davon, ein Buch zu schreiben …
Als Cyrus den Hinweis auf ein ungewöhnliches Kunstprojekt im Brooklyn Museum erhält, macht er sich mit seinem Freund Zee auf den Weg nach New York – wo sein Leben komplett auf den Kopf gestellt wird. Intensiv, packend und oft überraschend erzählt der Autor sowohl von Leben und Trauer, Migration und Glauben und – nicht zuletzt – von Liebe und Kunst. Sehr lesenswert!
Suhrkamp 2025 / Geb. / 90 Seiten / 20 € Eine Empfehlung von Lukas Becker
In „Weiter nach Osten“ begleitet Maylis de Kerangal ihre Heldin Hélène auf eine stille, intensive Reise. Hélène reist nach China, wo sie im Auftrag einer Firma junge Ingenieure betreuen soll. Doch schon bald wird deutlich, dass diese Reise mehr ist als ein berufliches Abenteuer: Zwischen fremden Städten, endlosen Bahnfahrten und den flirrenden Rändern einer ihr unbekannten Kultur verliert Hélène nicht nur die Orientierung, sondern auch den festen Halt in ihrer eigenen Biografie.
Kerangal erzählt diese innere und äußere Bewegung mit ihrer typischen, fein ziselierten Sprache: präzise, atmend, voller stiller Spannung.
„Weiter nach Osten“ ist ein Roman über das Unterwegssein – nicht nur durch Länder, sondern auch durch Erinnerungen, Zweifel und Möglichkeiten. Es geht um das Aushalten von Ungewissheit, um das Hineintasten in ein neues Selbst.
Mo. – Fr. von 9:30 Uhr bis 18:30 Uhr und Sa. von 9:30 Uhr bis 16:00 Uhr. Sie erreichen uns telefonisch 0221 / 9416527 und per E-Mail info@buchhandlung-in-braunsfeld.de. UnserOnline-Shopist rund um die Uhr geöffnet.
S. Fischer Verlag 2025 / Geb. / 160 Seiten / 22 € Eine Empfehlung von Lukas Becker
Édouard Louis‘ Monique bricht aus ist ein eindringlicher Roman über die Befreiung einer Frau aus den Zwängen von Armut, Geschlechterrollen und familiären Erwartungen. In knappen, präzisen Sätzen erzählt der Sohn die Geschichte seiner Mutter, die nach Jahren der Unterdrückung den Mut findet, ein neues Leben zu beginnen.
Der Roman berührt, ist zugleich soziale Anklage und Hommage an die weibliche Widerstandskraft. Es sind aber vor allem die ungesagten Dinge, die diesen Text ausmachen und uns zum Nachdenken anregen.
Wer literarische Werke schätzt, die persönliche und politische Themen kunstvoll verweben, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Edouard Louis ist es gelungen.
Kein & Aber Verlag 2025 / Geb. / 160 Seiten / 23 € Eine Empfehlung von Susanne Stammeier
Kathleen und Virgil Beckett sind „angekommen“. Virgil hat eine neue Stellung in einem Versicherungsbüro, Kathleen kümmert sich um die Söhne Nicholas und Nathaniel und den Haushalt. Die Wohnung in der modernen Wohnanlage „Acropolis Place“ in Newark, Delaware soll zwar nur vorübergehend ihr Zuhause sein, aber es lässt sich leben.
In den späten 40er Jahren – der Zweite Weltkrieg ist vorbei – wollen die Menschen nach vorne schauen. Aber etwas ist anders an diesem Sonntag im November. Es ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit und als Virgil mit den Kindern vom Gottesdienst nach Haus kommt, kann er seine Frau in der Wohnung nicht finden. Schon am Morgen hatte Kathleen sich unwohl gefühlt, konnte aber keinen Grund dafür nennen. Schließlich entdeckt einer der Söhne seine Mutter im Swimming Pool der Anlage. Es ist das erste Mal, das ein Mitglied der Familie den Pool benutzt und Kathleen denkt nicht daran, das Wasser vor dem Abend wieder zu verlassen.
Plötzlich verschieben sich die täglichen Gewohnheiten und Abläufe, Virgil möchte den Sonntag eigentlich – wie immer – mit den neuen Kollegen auf dem Golfplatz verbringen. Aber wer kümmert sich dann um die Kinder? Und was denken die anderen Bewohner über seine Frau, die im alten Badeanzug aus ihrer Collegezeit den Tag allein im Pool verbringt?
Fragen tauchen auf. Wer ist diese Frau eigentlich, was weiß Virgil von ihr. Und er? Ist sein Leben so, wie er es sich vorgestellt hat? Hat er nicht auch Geheimnisse? Welche Rolle spielt die Zeit, in der sie leben?
Souverän, spannend und psychologisch überzeugend erzählt die Autorin von zwei Menschen, die beschlossen haben, ihr Leben miteinander zu verbringen. Sehr lesenswert – ein kleines Juwel!
Rowohlt Verlag 2024 / Geb. / 224 Seiten / 24 € Eine Empfehlung von Susanne Stammeier
Adikou ist bei Ihrer Mutter in Frankreich aufgewachsen. Der Vater kommt aus Togo, ein politisch Verfolgter, den Adikou kaum kennt. In Togo möchte die junge Frau mehr über Ihre Wurzeln erfahren, sich selbst besser verstehen – und nicht zuletzt ihren Vater wiedersehen.
Schnell wird klar, dass Adikou unter ihrem „Gemischtsein“ leidet. Die Erzählperspektive wechselt immer wieder zwischen der Ich-Erzählerin und einer 3. Person. Dadurch wird auch stilistisch die Vielfalt und Widersprüchlichkeit von Adikous Gedanken und Empfindungen deutlich. Ein Bekannter der Familie „Der Professor“ empfängt Adikou am Flughafen in Lomé und hilft Ihr, sich in den ersten Tagen zurecht zu finden. Danach macht sie sich allein auf den Weg.
In einer sehr bildhaften Sprache erzählt die Autorin sowohl von Adikous ganz persönlichen Erfahrungen, die sie auf Grund ihrer Hautfarbe gemacht hat und immer noch macht, als auch vom jahrhundertealten, schmerzhaften Erbe der „coloured people“. Im Roman schafft die Protagonistin es tatsächlich, einige Verwandte und auch ihren Vater zu treffen. Aber ist jetzt alles gut? Ein sehr lesenswertes Buch! Zugleich schonungslos und mitfühlend erzählt, hat mich „Adikou“ noch eine eine ganze Zeit lang begleitet.