Suhrkamp 2025 / Geb. / 219 Seiten / 24 € Eine Empfehlung von Lukas Becker
„Hundesohn“ ist ein Roman über das, was bleibt, wenn man zu viele Orte bewohnt, aber nirgends ganz zuhause ist – über Liebe, die nicht vergeht, obwohl sie nie ganz gelebt wurde. Es ist die Geschichte von Zeko, einem jungen Berliner zwischen Parks und Moscheehöfen, zwischen Therapiesitzung und Freitagsgebet, der Männer küsst und doch immer nur an einen denkt: Hassan, den Nachbarsjungen aus Adana, den der Großvater verächtlich „Hundesohn“ nannte und den Zeko nie vergessen konnte.
Mit jedem flüchtigen Körper, jeder Begegnung, jedem Blick zurück in die sengende Sommerhitze Anatoliens wird spürbar, wie tief Erinnerung im Begehren wurzelt – und wie sehr das, was war, das Jetzt überschattet. Keskinkılıç schreibt mit großer Intensität und zugleich mit einer poetischen Zurückhaltung, die mehr andeutet als erklärt. Es geht um Verlust, Scham, Begehren, Stolz – aber auch um Rituale, Sprache, Essen, Gebet. Die arabischen Lieder des Großvaters hallen ebenso nach wie die stillen Lücken im Gespräch mit Hassan. Berlin und Adana überlagern sich in diesem Text wie zwei Ebenen einer Karte: Nie ganz deckungsgleich, aber untrennbar verbunden. Zekos Körper trägt beide Städte in sich – und mit ihnen die Zerrissenheit einer queeren migrantischen Existenz, die sich nicht auflösen lässt in Identität, aber auch nicht verbergen lässt im Alltag.