Arno Geiger „Reise nach Laredo“

Hanser Verlag 2024 / Geb. / 272 Seiten / 26 €
Romanrezension von Marlene Hofmann

Wir schreiben das Jahr 1558. Der Protagonist des Romans, Karl, ist ein kranker achtundfünfzigjähriger Mann. Er ist ein gichtiger Greis, unansehnlich und täglich von Schmerzen geplagt. In einem abgelegenen Kloster in Spanien wartet er auf sein Ende. Doch plötzlich kommt alles anders. Gemeinsam mit dem elfjährigen Geronimo, der nicht weiß, dass er der illegitime Sohn von Karl ist, erlebt der alte Mann die Welt neu. Fern ab von allem, was er jemals für möglich gehalten hat, beschließen die beiden eines nachts dem Kloster zu entfliehen und sich auf eine lange Reise zu begeben.

„Die Reise nach Laredo“ ist die abenteuerliche Geschichte von Karl und Geronimo, zwei Menschen die trotz ihrer unterschiedlichen Lebenssituation nach ein und demselben streben: Veränderung. Fern ab von allen Verpflichtungen, Zwängen und dem trägen Alltag erleben sie das Unglaubliche. Sie retten Menschenleben, finden Freunde und erleben ein buntes Chaos der Gefühle. Der pflichtverknöcherte Karl, der immer an Vergangenheit und Zukunft denken muss und der elfjährige Junge, der nur im Hier und Jetzt lebt, harmonieren gerade wegen des Kontrasts so wunderbar.

In der Geschichte der beiden geht es weniger darum an einem bestimmten Ziel anzukommen oder eine spezielle Aufgabe zu erfüllen. Vielmehr steht im Fokus die Reise als solche und die gemeinsame Zeit, die sie miteinander verbringen; ein Leben ganz nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“.

Meiner Meinung nach ist dies ein Roman, der Eindrücke hinterlässt, geschrieben von einem Autor, dem es gelingt die Komplexität von Gefühlen, Gedanken und Emotionen präzise und detailliert zum Ausdruck zu bringen.

Jenny Mustard „Okaye Tage“

Eine Begegnung der Gegensätze

Eichborn Verlag 2024 / Geb. / 368 Seiten / 24 €
Romanrezension von ?

Der Sommer in London wird für Sam und Luc zu einem Tanz zwischen Euphorie und Zweifel, Übermut und Vorsicht. Während sie gemeinsam die Straßen Londons erkunden, entwickelt sich ihre Beziehung auf eine Art und Weise, die sie beide nicht vorhersehen konnten. Die Autorin versteht es meisterhaft, die Höhen und Tiefen dieser jungen Liebe darzustellen – von den Momenten purer Freude und Unbeschwertheit bis hin zu tiefen Zweifeln und Ängsten. Es ist eine Beziehung, die durch intensive Emotionen und starke Gegensätze geprägt ist. Die Gefühle sind mal überschäumend, mal verletzend, aber stets authentisch.

„Okaye Tage“ baut seine Spannung langsam und stetig auf. Die Erzählweise aus beiden Perspektiven – Sams impulsiver und Lucs reflektierter Sicht – lässt die Leserinnen tief in die Gefühlswelt beider Charaktere eintauchen. Die Geschichte ist geprägt von überraschenden Wendungen, die sowohl die Figuren als auch die Leserinnen herausfordern. Während man zunächst glaubt, den Verlauf der Geschichte erahnen zu können, überrascht die Autorin immer wieder mit neuen, unerwarteten Ereignissen. Diese Wendungen sind nicht nur geschickt platziert, sondern auch emotional aufgeladen. Besonders spannend ist der Umgang mit umstrittenen Themen wie Abtreibung, die nicht nur das Leben der Charaktere beeinflussen, sondern auch den Leser*innen viel Raum zum Nachdenken geben.

Die Erzählweise von „Okaye Tage“ ist alles andere als konventionell. Die Geschichte beginnt ohne große Vorwarnung – man wird direkt in die Handlung hineingeworfen, was zunächst überwältigend wirken kann. Diese Unmittelbarkeit zieht die Leser*innen sofort in ihren Bann und lässt keine Zeit, sich langsam an die Geschichte zu gewöhnen. Durch zahlreiche Zeitsprünge und Rückblicke wird die Erzählstruktur immer wieder aufgebrochen. Anfangs kann dies verwirrend sein, doch mit der Zeit wird genau dieser Stil zu einem der interresantesten Aspekte des Buches. Die Rückblicke offenbaren nach und nach mehr über die Vergangenheit der Charaktere und fügen sich wie Puzzleteile zu einem vollständigen Bild zusammen. Es ist ein literarisches Spiel mit der Zeit, das zwar etwas Konzentration erfordert, sich aber am Ende lohnt.

Neben den beiden Hauptfiguren Sam und Luc gibt es eine Vielzahl von Nebencharakteren, die das Universum von „Okaye Tage“ bereichern. Anfangs wirken einige von ihnen flüchtig und oberflächlich, doch im Laufe der Geschichte erfährt man immer mehr Details über sie. Die Nebenfiguren sind nicht nur dazu da, die Handlung voranzutreiben, sondern haben ihre eigenen Geschichten und Motivationen, die nach und nach ans Licht kommen.

„Okaye Tage“ ist eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle. Die Leserinnen durchleben gemeinsam mit den Figuren Trauer, Freude und Angst. Die Autorin versteht es, Emotionen so greifbar zu machen, dass man sich mit den Figuren verbunden fühlt, als wären sie reale Menschen. Diese emotionale Intensität ist eine der größten Stärken des Buches und lässt die Leser*innen lange nach der letzten Seite nicht los.

„Okaye Tage“ ist mehr als nur eine Liebesgeschichte. Es ist ein Buch über das Leben, das Loslassen, das Wachsen und das Navigieren durch die schwierigen Entscheidungen, die wir alle treffen müssen. Die Mischung aus impulsiver Leidenschaft und nachdenklicher Reflexion, kombiniert mit einer ungewöhnlichen Erzählstruktur und tiefgehenden Themen, macht „Okaye Tage“ zu einem außergewöhnlichen Leseerlebnis. Es zeigt, das eine Kollision zweier Welten night immer in einer Katastrophe endet, sondern dass die Mischung manchmal genau das richtige ist. Es ist eine Geschichte, die noch lange nachhallt und zum Nachdenken anregt – über die Liebe, das Leben und all die „okaye Tage“ dazwischen.

Iris Wolff „Lichtungen“

Kett-Cotta 2024 / Geb. / 256 Seiten / 24,00 €
Eine Favoritin von Gabriele Klinski

Iris Wolff erzählt uns eine Geschichte über Freundschaft und Liebe, beginnend im heutigen Erwachsenenleben der beiden Protagonisten Lev und Kato. Kennengelernt und angefreundet haben sie sich als Kinder im kommunistischen Rumänien der 80er Jahre, ein kleiner Ort im ländlichen Raum war lange ihr Lebensmittelpunkt.

Irgendwann verlieren Sie sich aus den Augen, Kato treibt es nach dem Ende der Diktatur in die Welt hinaus, Lev ist in seinem Heimatort verwurzelt. Nun treffen sie neu aufeinander und wagen eine gemeinsame Reise.

Iris Wolff verfügt in ihrer Erzählkunst über eine starke Ausdruckskraft, ihre Bilder, die sie schafft, sind voller Poesie. Gerade deswegen ist dieser Roman für mich herausragend.

Martina Hefter „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“

Klett-Cotta 2024 / Geb. / 224 Seiten / 22 Euro
Ein Favorit von Lukas Becker

Liebevoll hilft Juno ihrem schwerkranken Mann Jupiter den Alltag zu bewältigen.
Sie ist Künstlerin, Tänzerin, spielt im Theater.

Nachts, wenn Sie wachliegt und die Sorgen und Ängste ihrer Beziehung zu Jupiter sie fest im Griff haben, chattet Sie online mit Männern. Was für die Fremden nur eine Betrugsmasche darstellt, ist für Juno eine Flucht aus dem Alltag. Bis wir uns am Ende fragen, wer hier eigentlich wen belügt.

Martina Hefter ist ein präziser, exzellent durchkomponierter Roman gelungen, der den Zeitgeist bis ins Mark trifft – und dabei durch seinen wunderbaren Humor besticht!

Clemens Meyer „Die Projektoren“

S. Fischer Verlag 2024 / Geb. / 1056 Seiten / 36 Euro
Ein Favorit von Lukas Becker

Ein mysteriöser Ort namens Damagdarut, ein Getreidefeld in der südöstlichen Mitte der Welt, die weiße Stadt Belograd, der Wilde Westen und Sachsen.
Das sind nur einige Schauplätze dieses großartigen Meisterwerks von Clemens Meyer.

Wie schafft man es, die absurde Grausamkeit des Krieges in Worte, in Sprache zu fassen? Wie den Geschichten Karl Mays und seinen Helden bis ins tiefste Jugoslawien zu folgen, und dabei gleichzeitig ein europäisches Panorama der Nachkriegszeit zu schaffe?

Clemens Meyer hat es geschafft und damit eines der wichtigsten literarischen Werke unserer Gegenwart vorgelegt. Darum ist er für mich schon jetzt der Gewinner im Rennen um den Deutschen Buchpreis 2024!

Mirrianne Mahn „Issa“

Rowohlt Verlag 2024 / Geb. / 304 Seiten / 24 Euro
Ein Lesetipp von Susanne Stammeier

Als Issa von Frankfurt nach Douala fliegt, ahnt sie nicht, dass diese Reise sie intensiv mit den Lebensgeschichten ihrer weiblichen Vorfahren und damit auch ihrer eigenen Geschichte konfrontieren wird. Sie ist schwanger und ihre Mutter hat am Telefon darauf bestanden, dass nur ein altes Ritual Unglück von Issa und ihrem ungeborenen Baby abwenden kann.

Als sie in Kamerun ankommt, fühlt sie sich sehr fremd und gleichzeitig überraschend tief verbunden mit dem Land. Sie trifft ihre Großmutter wieder, mit der sie als Kind – vor ihrem Umzug nach Deutschland – eine sehr innige Beziehung hatte. Aus Erzählungen und Gesprächen entfalten sich Lebensgeschichten ihrer weiblichen Vorfahren – bis in die Zeit deutscher Kolonialherrschaft.

Ungeschönt und dennoch liebevoll, erzählt Mirrianne Mahn spannend, verstörend und aufklärend über Herrschaft und Unterdrückung, Überlebenswillen und Selbstbestimmung.
Unbedingt lesen!

Daniel Mason „Oben in den Wäldern“

C.H. Beck Verlag 2024 / Geb. / 429 Seiten / 26 €uro  
Ein Lesetipp von Anne Auer

Ein Haus, mitten in den Wäldern von Massachusetts, und seine bewegte Geschichte bildet das Zentrum dieses eindrucksvollen Romans.

Obwohl sich die meisten Menschen, die das Haus über die Jahre bewohnen, nicht kennen, verweben sich ihre Geschichten zu einem wunderbar schlüssigen Ganzen. So verschieden die Einzelschicksale sind, so unterschiedlich ist auch der Erzählstil: Die Geschichte der entlaufenen Sklavin ist äußerst spannend erzählt, die musikalische Apfelbauerfamilie wird in einem Lied abgebildet …

Durch die sprachliche Vielfalt entsteht ein origineller abwechslungsreich geschriebener Roman über Vergänglichkeit und Wandel im Fluss der Zeit.
Absolut magisch!